Eine Lange Nacht über den Mystiker Jacob Böhme Liebe und Zorn von Ronald Steckel

 

      Lange Nacht über Jacob Böhme, Mystiker und Theosoph - Deutschlandfunk Kultur

 

 

Der Mystiker Jacob Böhme (1575–1624) auf einem Gemälde von J. Chr. Glymann. (Ronald Steckel/Städtische Sammlungen Kamenz)
Zu Lebzeiten von der Kirche als Ketzer verschrien, gilt Jacob Böhme heute als bedeutendster Autor der christlichen Mystik – obwohl er ein einfacher Schuhmacher war. Worin liegt die Faszination seines Denkens? Und was hat er uns heute zu sagen?

Jacob Böhme (1575–1624), Zeitgenosse William Shakespeares, Johannes Keplers, Galileo Galileis und Giordano Brunos, lebte als Schuhmacher und Garnhändler in Görlitz an der Neiße – zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine blühende protestantische Handelsstadt auf der Via Regia.

Sprachmächtiger Autodidakt
Nach einer Folge geistiger Durchbruchs- und Erleuchtungserfahrungen verfasste er 1612 als sprachmächtiger Autodidakt das Buch “Morgenröte im Aufgang„, ein Memorial seiner Visionen und ein grandioser Entwurf der Naturphilosophie und der kosmisch-geistigen Anthropologie, der einen radikalen Bruch mit kirchlicher Autorität bedeutete und die Erkenntnis- und Willensfreiheit des Menschen in den Mittelpunkt stellte.

De Signatura Rerum, Titelkupfer der Amsterdamer Gesamtausgabe von 1730 (Ausschnitt) (Ronald Steckel/Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz)

Durch einen Denunzianten geriet eine Abschrift der in Freundeskreisen kursierenden Morgenröte in die Hände der lutherisch-orthodoxen Kirchenleitung der Stadt Görlitz. Böhme wurde kurzzeitig inhaftiert, man erteilte dem Autor Schreibverbot und klagte ihn öffentlich der Ketzerei an, konnte aber nicht verhindern, dass er in den politisch unabhängigen und geistig aufgeschlossenen Kreisen des niederschlesischen Adels bekannt wurde.

Als Mystiker und Prophet weltberühmt
Dort betrachtete man ihn als Propheten und unterstützte seine Arbeit als Autor. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er, trotz andauernder Verfolgung durch die lutherische Orthodoxie, zum Teil als Gast auf den Landsitzen des niederschlesischen Adels, vor allem mit der Niederschrift seines 4.000 Druckseiten umfassenden Werkes beschäftigt.

Noch zu Lebzeiten wurden die Schriften des Philosophus Teutonicus über die Landesgrenzen bekannt, und seine Vision des androgynen geistig-kosmischen Ur-Menschen und des Kosmos als „Leib Gottes“ verbreitete sich im 17. und 18. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas, vor allem in Holland, England, Russland und in den Kolonien der Neuen Welt.

Titelblatt der Amsterdamer Ausgabe der Sämtlichen Schriften Jacob Böhmes von 1730. (Ronald Steckel/Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz)

Heute gilt Jacob Böhme als der bedeutendste Autor der christlichen Theosophie und der deutschen Mystik und als eine der großen Gestalten der Philosophia Perennis, der ‚ewigen Philosophie‘. Ohne sein Werk wäre die innere Kraft und Wirkung der spirituellen Unterströmungen der Aufklärung – der Pietismus, die Romantik und der Höhenflug der deutschen idealistischen Philosophie – nicht denkbar.

Sein Denken fasziniert noch heute
Und auch zu Beginn des 3. Jahrtausends hört der geheimnisvolle Mann aus Görlitz nicht auf, die Gemüter der Theologen, Philosophen, Kulturhistoriker und auch der Naturwissenschaftler zu bewegen. Eine nur die letzten drei Jahrzehnte umfassende Bibliographie der geisteswissenschaftlichen Arbeiten zu und über Jacob Böhme zählt an die 400 Titel. Seit 2017 wandert eine von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eingerichtete Ausstellung über den „mystischen Philosophen“ durch Europa.

 

Es gibt aus jüngster Zeit einen ihm gewidmeten Kinofilm, Radiosendungen und jährliche wissenschaftliche Tagungen und Foren. 2020 soll mit der Veröffentlichung einer 30bändigen kritischen Werkausgabe begonnen werden. Und 2024, zum 400. Todestag, eröffnet die Stadt Görlitz ein Internationales Jacob-Böhme-Zentrum.

Eine „Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit“

„Im Wasser lebt der Fisch, die Pflanze in der Erden,
Der Vogel in der Luft, die Sonn‘ im Firmament.
Der Salamander muss im Feur‘ erhalten werden,
und Gottes Herz ist Jacob Böhmes Element.“

Angelus Silesius (1624-1677, schlesischer Lyriker und Theologe)

„In meinen eigenen Kräften bin ich so ein blinder Mensch als irgend einer ist, und vermag nichtes; aber im Geiste GOttes siehet mein ingeborener Geist durch Alles, aber nicht immerdar beharrlich; sondern wenn der Geist der Liebe GOttes durch meinen Geist durchbricht, alsdann ist die animalische (seelische) Geburt und die Gottheit ein Wesen, eine Begreiflichkeit und ein Licht. Nicht bin allein Ich also, sondern es sind alle Menschen also, es seien gleich Christen, Juden, Türken oder Heiden; in welchem die Liebe und Sanftmut ist, in dem ist auch GOttes Licht.“ (Jacob Böhme, „Morgenröte im Aufgang“, Kap. 22, Abschn. 51–52)

„Man kann nicht umhin, von Jacob Böhme zu sagen,
er sei eine Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit
und besonders in der Geschichte des deutschen Geistes.
Könnte man je vergessen, welcher Schatz von natürlicher Geistes- und Herzenstiefe
in der deutschen Nation liege, so dürfte man sich nur an ihn erinnern.“

Friedrich Wilhelm J. Schelling (1775–1854, deutscher Philosoph)

 

Centrum Naturae, Kupferstich zu „Vom dreifachen Leben des Menschen“ aus der Amsterdamer Gesamtausgabe von 1730 (Ausschnitt). (Ronald Steckel/Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz)

„Dann ich sah und erkannte das Wesen aller Wesen, den Grund und Ungrund: item, die Geburt der Heiligen Dreifaltigkeit, das Herkommen und den Urstand dieser Welt, und aller Creaturen, durch die göttliche Weisheit. Ich erkannte und sah in mir selber alle drei Welten, als (1.) erstens die Göttliche Englische oder Paradeisische; und dann (2.) zweitens die finstere Welt, als den Urstand der Natur zum Feuer; Und zum (3.) dritten diese äußere, sichtbare Welt als ein Geschöpf und Ausgeburt, oder als ein ausgesprochen Wesen aus den beiden inneren geistlichen Welten.“ (Jacob Böhme, „Theosophische Sendbriefe“, Kap. 12, Abschn. 8)

„Jacob Böhme, dessen Schriften alles das gediegen und in einer festen Masse enthalten, was uns seine albernen Nachfolger mit einer bloß scheinbaren Verständlichkeit verdünnt und verdorben übergeben, ist und bleibt einer der ersten Schriftsteller unserer Nation.“

Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799, deutscher Aufklärer und Schriftsteller)

Gott in sich selbst finden
„Also habe ich nun geschrieben, nicht von Menschen-Lehre oder Wissenschaft aus Bücher-Lernen, sondern aus meinem eigenen Buche, das in mir eröffnet ward. Denn das Buch der edlen Bildnis – das Ebenbild Gottes – ward mir vergönnet zu lesen. Mein Buch hat nur drei Blätter. Das sind die drei Principia der Ewigkeit. Darinnen kann ich alles finden. Ich kann der Welt Grund und alle Heimlichkeit darinnen finden. Ich bedarf kein ander Buch dazu. Dann das Buch, da alle Heimlichkeit innen lieget, ist der Mensch selber: Er ist selber das Buch des Wesens aller Wesen, dieweilen er die Gleichnis der Gottheit ist; das grosse Arcanum lieget in ihme, allein das Offenbaren gehöret dem Geiste Gottes. Gott hat meine Seele in eine wunderliche Schule geführet, und ich kann mir in Wahrheit nichts zumessen, dass meine Ichheit etwas wäre oder verstünde. Denn das Werk meiner Arbeit ist nicht mein, ich habe es nur nach dem Maß, als mir es vom Herrn vergönnet wird. Ich bin nur sein Werkzeug, mit dem Er tut, was Er will.“ (Jacob Böhme, „Theosophische Sendbriefe“, Kap. 12 u. 20)

 

„Jakob Böhme ist nicht nur schwer zu lesen, so wie etwa Kant in vielen Kapiteln schwer zu lesen ist. Er ist überhaupt nicht zu lesen, wenn die Einstellung fehlt. Am schwersten kommt der gebildete Vielleser in ihn hinein. Seine Lektüre erfordert, könnte man sagen, gerade dieselben Vorbedingungen wie das mystische Erleben selber – sie fordert ein vorübergehendes ‚Leerwerden’, eine völlig freie Aufmerksamkeit und Seelenstille. In den Stunden, wo diese uns fehlt, spricht Böhme nicht zu uns, ist er uns tot und öde, denn der Neugierde und dem bloßen intellektuellen Spieltrieb gibt er nichts. Aber in Stunden, wo wir reif für ihn sind, sehen wir in seinem mystischen Abbild der Welt die Sterne kreisen und ordnen uns in seinen Kosmos lebendig mit ein.“

Hermann Hesse (1877-1962, deutscher Schriftsteller)

Wir sind wozu wir uns machen
„Also, ihr Menschenkinder, seid allhier sehend und nicht blind. Merkets doch, was euch geoffenbaret ist. Es geschieht nicht vergebens. Es ist was dahinter, schlafet nicht, es ist Zeit. Sehet doch, was das Wesen aller Wesen ist. Diese Welt ist aus dem Ewigen ausgeboren. Weil wir nun solches wissen, was wir sind, und dass es uns GOtt lässet wissen, so mögen wir nur zusehen, und was Gutes aus uns gebären, denn wir haben das Centrum Naturae in uns. Machen wir einen Engel aus uns, so sind wir das. Machen wir einen Teufel aus uns, so sind wir das auch. Wir sind allhier im Machen in der Schöpfung, wir stehen im Acker. Denn du darfst nicht sagen: Wo ist GOtt? Höre, du blinder Mensch, du lebest in GOtt und GOtt ist in dir: und so du heilig lebest, so bist du selber GOtt. Wo du nur hinsiehest, da ist GOtt.“ (Jacob Böhme, „Von der Menschwerdung Jesu Christi“, II, Kap. 9, Abschn. 1–2 u. Morgenröte im Aufgang Kap. 22, Abschn. 46)

„Jacob Böhme ist der erste deutsche Philosoph; der Inhalt seines Philosophierens ist echt deutsch.“

G. W. F. Hegel (1770-1831, deutscher Philosoph)

Die Unterschrift Jacob Böhmes. (Ronald Steckel/Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz)

Eine Produktion von Deutschlandfunk/Deutschlandfunk Kultur 2020, mit freundlicher Unterstützung der Organisation zur Umwandlung des Kinos. Das Skript im PDF-Format finden sie hier.

Sprecher: Corinna Kirchhoff, Max Hopp und Wolfgang Michael, Julia Jentsch und Traudel Haas, Fritz Mikesch und Urs Troller; Ton: Peter Kainz; Realisation, Komposition und Regie: Ronald Steckel; Redaktion: Monika Künzel.

Über den Autor:
Ronald Steckel wurde 1945 auf der Insel Sylt geboren, besuchte das Gymnasium in Hamburg, verbrachte die Mitte der 60er Jahre in London und lebt seit 1968 als Autor, Komponist und Regisseur in Westberlin. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Essays, Kurzspielfilme, experimentelle Hörstücke und Radio-Features, Kompositionen für Theaterstücke und Filme, Klang-Installationen, Konzert-Performances, Experimentalfilme und Theaterstücke.

Literaturempfehlungen des Autors der Langen Nacht (Auswahl):

Jacob Böhme: Sämtliche Schriften, Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730 (Amsterdam) in 11 Bänden. Begonnen von August Faust, neu herausgegeben von Will-Erich Peuckert, Stuttgart 1942–1961.

Ernst Benz: Der Prophet Jakob Böhme. Eine Studie über den Typus nachreformatorischen Prophetentums, Wiesbaden 1959.

Günther Bonheim u. Thomas Reghely (Hg.): Morgenröte im Aufgang, Böhme-Studien der Internationalen Jacob Böhme Gesellschaft, Bd. 4, Berlin 2017.

Andreas Gauger: Jakob Böhme und das Wesen seiner Mystik, 2. Aufl. Berlin 2000.

Paul Hankamer, Jakob Böhme. Gestalt und Gestaltung, Bonn 1924

Heiko Krämer: Jacob Böhme Lexikon, Ronnenberg 2020.

Ernst-Heinz Lemper: Jakob Böhme, Leben und Werk, Berlin 1976.

Ferdinand van Ingen, Jacob Böhme Werke, Frankfurt/M. 2009

Gerhard Wehr, Jakob Böhme in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1971.

Leopold Ziegler: Menschwerdung Bd. I und II, Olten 1948.

Weiterführende Links zu Jacob Böhme:

Jacob Böhme in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften Görlitz

Internationale Jacob Böhme Gesellschaft

Aktuelle Ausstellung über Jacob Böhme in Amsterdam

Verlag Magische Blätter des 2020 neu begründeten „Jacob Böhme Bundes“

jacobboehmeonline.com (USA)

MEHR ZUM THEMA

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(Deutschlandfunk, Kultur heute, 03.09.2017)

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